H. Uhl u.a. (Hrsg.): Gedächtnisort der Republik

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Title
Gedächtnisort der Republik. Das Österreichische Heldendenkmal im Äußeren Burgtor der Wiener Hofburg. Geschichte – Kontroversen – Perspektiven


Editor(s)
Uhl, Heidemarie; Hufschmied, Richard; Binder, Dieter A.
Published
Extent
464 S.
Price
€ 65,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Jörg Echternkamp, Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw), Potsdam

„Chromotopia Heldentor“ hieß die Lichtinstallation, die ein unspektakuläres Gebäude im Zentrum Wiens 2014 in bunten Farben erstrahlen ließ: das Österreichische Heldendenkmal im Äußeren Burgtor der Wiener Hofburg. Bereits ein Jahr zuvor hatten die Wiener Symphoniker mit einem Konzert am 8. Mai die Aufmerksamkeit auf diese Ecke des Heldenplatzes gelenkt, die im Schatten der Neuen Hofburg auf der einen Seite und der repräsentativen Bauten des Kunsthistorischen und des Naturhistorischen Museums auf der anderen Seite liegt. Die Musiker und die Videokünstlerin wollten den symbolischen Raum für die Republik zurückgewinnen. Denn das geschichtsträchtige Heldendenkmal mit seiner klassizistischen Architektur war längst auch im übertragenen Sinn als Projektionsfläche genutzt worden: Der Torbau, in dem bis 1918 die Wache der Hofburg untergebracht war, wurde 1933/34 zu einem zentralen Gefallenendenkmal umgewandelt. Eine Ehrenhalle auf dem Dach für die Habsburgische Armee und ein Sakralraum („Krypta“) mit der liegenden Figur des „Toten Kriegers“ im rechten Flügel für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs machten die neue Gedenkstätte, das Österreichische Heldendenkmal, zu einem Vorzeigeprojekt des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes. Der Altar, vom Wiener Erzbischof geweiht, gab dem Bau zudem einen sakralen Charakter. Nach dem „Anschluss“ 1938 fanden hier offizielle Veranstaltungen des Heldengedenkens statt.

Bis weit in die 1960er-Jahre schwelte dann der Konflikt zwischen Veteranenorganisationen wie dem Österreichischen Kameradschaftsbund, die hier zu Ehren der rund 200.000 gestorbenen österreichischen Wehrmachtsoldaten Kränze niederlegten, und Vertretern der politisch Verfolgten, die den Widerstand und seine Bedeutung für die Zweite Republik gewürdigt sehen wollten. Der Streit verlor an Schärfe, als 1965 im linken Flügel des Gebäudes ein eigener Raum für das „Gedenken an die Opfer im Kampfe um Österreichs Freiheit“ eingerichtet wurde. Zuständig war das Ministerium für Landesverteidigung. Diese bauliche und symbolische Symmetrie ermöglichte staatliche Gedenkzeremonien solange, bis vom öffentlichen Bild der Wehrmacht der Glanz abfiel. Zwar stand das Gefallenengedenken durchweg im Widerspruch zu dem vorherrschenden Nachkriegsnarrativ, das Österreich als Hitlers erstes Opfer interpretierte. Zwar erhielt dieses Selbstbild im Zuge der Waldheim-Affäre 1986 Risse. Doch erst die Wehrmachtausstellungen, die 1996 und 2002 auch in Wien die Verbrechen der Wehrmacht beleuchteten, ließen von der liebgewonnenen Interpretation des Dienstes von 1,3 Millionen „Österreichern“ in Heer, Luftwaffe und Marine als „Pflichterfüllung“ wenig übrig.

Damit änderte sich der Sinnzusammenhang, in dem die zivile und militärische Seite dem Heldendenkmal eine Bedeutung zuschreiben konnten. Demonstrative Kranzniederlegung deutschnationaler Burschenschaften am Jahrestag des Kriegsendes, der Nachweis eines SS-Angehörigen in den Totenbüchern, schließlich der seit Jahren vermutete Fund einer nationalsozialistischen Notiz des Bildhauers im Sockel des „Toten Kriegers“ 2012: Angesichts dieser Entwicklung stoppte das Verteidigungsministerium die Nutzung des Ortes für das militärische Gedenken. Mit den Traditionserlassen des Österreichischen Bundesheeres, die den Rekurs auf die Wehrmacht untersagten, war die bisherige Praxis ohnehin nicht in Einklang zu bringen. Jetzt sollte die Militärhistorische Denkmalkommission beim Bundesministerium für Verteidigung (MHDK), seit 1994 das Beratergremium für die Traditionspflege, die Geschichte des Bauwerks untersuchen. Für die Neugestaltung wurden ein internationaler wissenschaftlicher Beirat eingesetzt (dem, das ist hier zu erwähnen, der Rezensent angehörte) und ein Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der Geschichte finanziert.

In diesen erinnerungspolitischen Handlungszusammenhang muss die rund 460 Seiten starke, üppig illustrierte Veröffentlichung eingeordnet werden. Zugleich ist sie im Kontext jüngerer Publikationen zur Erinnerungslandschaft des Helden- und des Ballhausplatzes zu lesen.1 Zwölf der siebzehn Beiträge stammen von den Herausgebern selbst: dem Vorsitzenden der MDHK und, bis 2019, Grazer Historiker Dieter A. Binder; dem Zeithistoriker und derzeitigen Referatsleiter am Heeresgeschichtlichen Museum Richard Hufschmied, der allein neun Beiträge als Autor oder Koautor übernommen hat; und nicht zuletzt der Historikerin an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und stellvortretenden Vorsitzenden der MHDK, Heidemarie Uhl, die auch für die Einleitung und den programmatischen Ausblick verantwortlich zeichnet. Die weiteren Beiträge geben dem Buch jenen interdisziplinären Anstrich, den sein Gegenstand nahelegt. Drei Beispiele: Die Kunst- und Architekturhistorikerin Anna Stuhlpfarrer untersucht die Wettbewerbe zur Errichtung des Denkmals 1933/34. Der Historiker und Politikwissenschaftler Peter Pirker seziert die Funktion als Symbol der „postnationalsozialistischen Demokratie“. Und weil das Denkmal auch eine sakrale, kirchengeschichtliche Bedeutung besaß – die „Krypta“ wurde bis zur Profanierung 2015 mehrere Jahrzehnte durch das Militärordinariat betreut –, zählt zu den Koautoren Stefan Gugerel, Militärseelsorger an der Theresianischen Militärakademie.

Die Darstellung folgt der Chronologie in vier Kapiteln. Zunächst geht es um die „Vorgeschichte“, das heißt die Zeit bis zur Errichtung des Heldendenkmals (I.). So steht mit dem fast 60-seitigen kunsthistorischen Beitrag zur Bau- und Nutzungsgeschichte von Richard Kurdiovsky ein Glanzstück am Anfang. Der ÖAW-Historiker Richard Lein geht dann der Aktion „Lorbeer für unsere Helden“ nach, mit der dem Gebäude 1916 erstmals die Funktion eines Kriegerdenkmals zugeschrieben wurde. Zweitens wird mit der Errichtung des Heldendenkmals 1933/34 ein erster Schwerpunkt gesetzt (II.). Binder, Hofschmied und Uhl nehmen hier die geschichtspolitischen Pläne und die symbolische Praxis der historischen Sinnstiftung unter die Lupe. In einem weiteren Schritt (III.) untersucht vor allem Hufschmied das Denkmal sachkundig in der Zeit der „Ständestaat“-Diktatur und des Nationalsozialismus (III.). Schließlich drehen sich die Beiträge um die Rolle des Heldendenkmals in der Zweiten Republik. Diesen Teil IV wird man als das Herzstück bezeichnen können. Hier werden die zuvor analysierten vor- und antidemokratischen Funktionen durch die erinnerungsgeschichtliche Klammer mit einer Diskussion verknüpft, die bis in die Gegenwart andauert. Wie soll man in Österreich an den Zweiten Weltkrieg erinnern? Wie seiner militärischen und zivilen Opfer gedenken? Welche Rolle den Österreichern beimessen? Hier wird der Bogen von der frühen Nachkriegszeit bis zum eigenen Projekt und darüber hinaus geschlagen (IV.). Eine Zeittafel erleichtert die Orientierung.

Der Band „Gedächtnisort der Republik“ leistet mindestens zweierlei: Zum einen bietet das Werk auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage, methodisch reflektiert, aber weitgehend frei von Fachjargon, einem interessierten Publikum Zugang zur zweihundertjährigen Geschichte des Gebäudes. Das Heldendenkmal wird dazu als „Gedächtnisort“ definiert und so in seinen sozial-, kultur- und politikgeschichtlichen Bezügen interpretiert. Insbesondere wird deutlich, wie sehr der Umgang mit dem Äußeren Burgtor nach 1945 viele Jahrzehnte die Paradoxien der österreichischen Erinnerungskultur widerspiegelte. Das einstige Wachgebäude wurde zu einem Kristallisationspunkt des Umgangs der Republik mit der nationalsozialistischen Vergangenheit (S. 442).

Zum anderen bereichert der Band seinerseits jene Auseinandersetzung, aus der er hervorgegangen ist, die er reflektiert und weiterführen soll. Heidemarie Uhl vor allem legt in einer Quintessenz ihrer langjährigen Forschung dar, wie sich der Deutungswandel vollzog und der Staatsgründungsmythos erodierte. Die Studien zeigen: Der Umgang der Gesellschaft, also auch ihrer Streitkräfte, mit der Vergangenheit manifestiert sich nicht nur in Museen, sondern auch im öffentlichen Raum, in dem symbolisch auf die Vergangenheit zurückgewiesen wird. Anders als das Denkmal ist der Sinnzusammenhang, in dem es steht, nicht in Stein gemeißelt. Die Revision von Form und Inhalt ist Ausdruck eines Selbstverständigungsprozesses, der dieser Transformation Rechnung trägt.

Die Fortsetzung der Geschichte blieb indes, wie Uhl am Ende skizziert, so verworren wie jene selbst. Dafür sorgen, wie gehabt, die politischen Konjunkturen. Lief die Empfehlung der Kommission auf die Musealisierung des Äußeren Burgtores und die Umwandlung zu einem Lernort hinaus, stellten weitergehende Pläne eines SPÖ-Ministers zur Einrichtung des lange diskutierten Hauses der Geschichte Österreich (HGÖ) in der Neuen Hofburg die Weichen für die Umgestaltung des Heldenplatzes neu. Das Äußere Burgtor wurde in die Neukonzeption einbezogen. Doch das Projekt „Heldenplatz neu“ gelangte nicht über die Realisierung des HGÖ 2018 hinaus. Zwischenzeitlich sollten Ausstellungen in der Krypta in didaktischer Hinsicht deren Eignung als Vermittlungsort belegen, inhaltlich ein Gegennarrativ stärken und erinnerungspolitisch als Beleg des Bundesheeres für ein militärisches Gedenken dienen, das einer demokratischen Erinnerungskultur ohne Wenn und Aber verpflichtet ist.

Ein neues Bundesheer-Denkmal auf der volksgartenseitigen Fläche des Äußeren Burgtores hätte die Erinnerung an die Opfer der Friedensmissionen von dem Gefallenengedenken der Weltkriege auch symbolisch getrennt, doch das Vorhaben wurde 2016 eingestellt. Stattdessen wurde in der Ehrenhalle des Heldendenkmals ein neues Ehrenmal errichtet. Es soll ein Ort zum Trauern sein für die Hinterbliebenen jener militärischen und zivilen Angehörigen des Bundesheeres, die im Einsatz für Demokratie, Frieden, Sicherheit und Menschenrechte ihr Leben ließen. Eine Informationstafel in der Krypta soll das neue Gedenken bei aller räumlichen Nähe auf Abstand zum alten bringen, nicht zuletzt durch das Historisieren des Gedächtnisortes. Bleibt ein praktisches Problem: Für staatlich-militärische Zeremonien wie die Rekrutenvereidigung reicht der Platz nicht. Der Band schließt daher mit dem zukunftsweisenden Plädoyer, einen geeigneteren staatspolitischen Ort im öffentlichen Raum zu schaffen und dazu das 1966 im Schweizergarten enthüllte Staatsgründungsdenkmal auf den Heldenplatz zu transferieren.

Man kann „Gedächtnisort der Republik“ als bestens ausgestatteten, gut zu lesenden Wegweiser für einen instruktiven Gang durch die oft verwinkelte Geschichte eines zentralen Wiener Bauwerks nutzen. Man kann den Band aber auch als überzeugendes Beispiel dafür lesen, wie das Ministerium für Landesverteidigung im intensiven Zusammenwirken mit Universität und Akademie die gesellschaftliche Reflexion über die militärische Gedenkkultur mit anstößt und voranbringt, nicht zuletzt im Bundesheer selbst.

Anmerkung:
1 Juliane Alton u.a. (Hrsg.), „Verliehen für die Flucht vor den Fahnen“. Das Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz in Wien, Göttingen 2016; Peter Stachel, Mythos Heldenplatz. Hauptplatz und Schauplatz der Republik, 2018; Peter Pirker / Markus Koch / Johannes Kramer, Contested Heroes, Contested Spaces: Politics of Remembrance at Vienna Heldenplatz / Ballhausplatz, in: Jörg Echternkamp / Stephan Jaeger (Hrsg.), Views of Violence. Representing the Second World War in Museums and Memorials, New York 2019, S. 174–214.

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